WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Energie
  4. Energiewende: Sigmar Gabriel gegen vorschnellen Kohleausstieg

Energie Energiewende

Gabriel gegen vorschnellen Kohleausstieg

Wirtschaftsredakteur
Bundeswirtschaftsminister Gabriel hält einen Ausstieg aus der Kohleverstromung vor 2050 für möglich. Große Masterpläne seien jedoch überflüssig. Seine Strategie ist eine andere.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hält einen Ausstieg aus der Kohleverstromung noch vor 2050 nicht für ausgeschlossen. Allerdings sehe er auch nach der Weltklimakonferenz von Paris nicht die Notwendigkeit, der Forderung der Opposition nach einem Masterplan zum beschleunigten Kohleausstieg nachzukommen.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)
Quelle: dpa

„Ich halte es für etwas zu ambitioniert, schon 2016 die energiewirtschaftliche Lage im Jahr 2050 präzise beschreiben zu wollen“, sagte Gabriel auf der vom „Handelsblatt“ organisierten Jahrestagung der Energiewirtschaft in Berlin: „Ich bin mit diesen Rufen nach Masterplänen etwas vorsichtig geworden.“ Man dürfe Energiepolitik stetig und verlässlich betreiben „und nicht, indem man ständig Erdbebenwellen auslöst“.

Gabriel verwies aber auf die geringe zeitliche Differenz zwischen den Vorstellungen der Kohlekritiker und denen der Energiekonzerne. Während der ökologische Thinktank „Agora Energiewende“ jüngst ein Konzept für den Kohleausstieg bis 2040 vorgelegt hat, gehen die Betreiber der Braunkohletagebaue von einem Produktionsende 2050 aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese zehn Jahre Unterschied ein unüberwindbares Problem darstellen“, sagte Gabriel.

Gabriel setzt auf den Emissionshandel

Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministers ist der europäisch organisierte Handel mit CO2-Rechten das geeignete Instrument für den Klimaschutz. „Es ist schwer zu verstehen, warum wir jetzt wieder mit nationalen Zielen zur Kohleverstromung anfangen sollen, wenn wir uns doch eigentlich alle einig sind, dass Klimaschutzanstrengungen nur auf europäischer Ebene Sinn machen.“

„Mein Vorschlag ist, dass wir die Reihenfolge umdrehen“, sagte Gabriel vor rund 1000 Topmanagern und Entscheidern der Energiewirtschaft im Berliner Hotel „Interconti“: „Erst bringen wir den europäischen Emissionshandel in Gang, und dann sprechen wir ideologiefrei über die Folgen für die nationale Stromerzeugung.“ Man könne jetzt Gespräche beginnen, solle aber „nicht wieder mit großen Masterplänen anfangen“.

Im Klimaschutz wird der Druck auf die Stromwirtschaft nur deshalb größer, weil der Druck auf Verkehr und Landwirtschaft so niedrig ist
Sigmar Gabriel, Bundeswirtschaftsminister

Gabriel warnte davor, den Ausstieg aus der Kohleverstromung, die heute noch rund 45 Prozent der deutschen Elektrizitätsnachfrage deckt, zu verharmlosen. Er erinnerte daran, wie schwer es im vergangenen Jahr gewesen sei, die Braunkohlewirtschaft zu einer CO2-Minderung von lediglich 22 Millionen Tonnen zu bewegen. „Beim Kohleausstieg geht es aber eher um 250 Millionen Tonnen“, sagte Gabriel: „Das ist nur ein Hinweis auf das, was uns da bevorsteht.“

Seinen ersten Saal-Applaus erntete Gabriel, als er auf die großen Versäumnisse beim Klimaschutz in anderen Wirtschaftssektoren hinwies, die von den Kraftwerksbetreibern stets ausgebadet werden müssten: „Im Klimaschutz wird der Druck auf die Stromwirtschaft nur deshalb größer, weil der Druck auf Verkehr und Landwirtschaft so niedrig ist.“

Ökostrom-Branche verliert ihren Welpenschutz

Gabriel stellte sich ausdrücklich hinter die Beschäftigten in der ostdeutschen Braunkohleregion Lausitz. Der ansonsten strukturschwachen Region müsse bei einem Kohleausstieg substanzielle Kompensation garantiert werden: „Ich bin nicht bereit, über Ausstiegsszenarien in der Lausitz zu sprechen, ohne zugleich Einstiegsgespräche zu führen, die mehr sind als nur ein paar freundliche Versprechungen.“

Gabriel forderte eine größere „Rollendistanz“ der Politik von der Ökostrombranche. Es sei Zeit, die Branche der Ökostromerzeuger wie jeden anderen Wirtschaftszweig auch zu behandeln. Die Zeiten, da dieser Sektor politische Bündnispartner gebraucht habe, seien vorbei, ein besonderer „Welpenschutz“ sei nicht mehr nötig: „Aus den Welpen sind ziemlich kräftige Jagdhunde geworden.“ Insbesondere die Verbände der Erneuerbare-Energien-Wirtschaft unterschieden sich „überhaupt nicht von den klassischen Industrieverbänden, weder vom Habitus noch von den Zielen her“, sagte Gabriel: „Das sind Leute, die Geld verdienen wollen.“

Das ist der größte Solarpark Europas

Mit 250 Hektar ist der Solarpark in der französischen Gemeinde Cestas der größte Europas. Die Solaranlagen können mit ihrer Energieerzeugung über eine Viertelmillion Menschen versorgen.

Quelle: Zoomin.TV

Anzeige

Gabriel verteidigte vor diesem Hintergrund sein Festhalten an den streng definierten „Ausbaukorridoren“ für Wind- und Solarkraft. Jeder Lobbywunsch nach einem noch stärkeren Ausbau werde nur hohe Folgekosten nach sich ziehen, weil die Netzinfrastruktur mit den immer stärker anwachsenden Ökostromkapazitäten nicht mehr Schritt halten könne.

Gabriel verwies darauf, dass die Netzbetreiber immer stärker in den Betrieb von Kraftwerken eingreifen müssen, um noch Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Im vergangenen Jahr hätten diese sogenannten Re-Dispatch-Kosten bereits mehr als eine Milliarde Euro betragen. Mit diesem Geld wurden Kraftwerke vergütet, die aufgrund von Netzengpässen und Ökostromüberschüssen entgegen der Marktlage hoch- oder runtergefahren werden mussten. In diesem Jahr dürften die Kosten für solche Markteingriffe auf über 1,5 Milliarden Euro steigen, warnte Gabriel.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema