Am 21. Juli 2023 ist unter anderem in der Frankfurter Rundschau davon zu lesen, dass der Ausbau von Windkraftanlagen “zu langsam” vonstatten gehe und dass Bundeskanzler Scholz und dem ganzen Land deswegen Ungemach drohe.
Scholz hatte im Februar des Jahres noch gefordert, dass täglich 5 neue Anlagen errichtet werden müssten. Entgegen dieser Maßgabe sei – so die FR – das Ausbautempo um ein Vierfaches zu gering. Mag die Zustandsbeschreibung auch weitgehend korrekt sein, so irrt die Zeitung, die sich die Thesen der Windkraftlobby quasi zu eigen macht, in ihrer Bewertung, dass dies “ein Debakel” sei.
Tatsächlich ist es ein Segen für die Natur und für die Menschen, dass die Industrialisierung der Biosphäre offenbar trotz immer stärkeren finanziellen Anreizen noch nicht ganz so schnell voranschreitet, wie es der Bundesverband Windenergie und maßgebliche Teile der Bundesregierung gerne sehen würden. Das vermeintliche “Debakel” verzögert ein Desaster, das der Ornithologe Martin Flade schon 2012 beschrieb und das seither immer mehr traurige Gestalt annimmt:
Immer tiefer dringen Windkraftanlagen in bisher aus sehr guten Gründen geschützte ökologisch sensible Bereiche vor. Und auch die Beeinträchtigung und Gefährdung von Anwohnern nimmt immer mehr zu. Denn die Ampelkoalition hat das Naturschutzrecht zu Gunsten der politisch wohlgelittenen Energiewirtschaft massiv ausgehöhlt. Eine dem Gefährdungspotential angemessene TÜV-Pflicht für diese Anlagen hat sie indes nicht weiter verfolgt – obwohl eine Regierungspartei die Notwendigkeit bereits Jahre zuvor klar erkannt hatte.
Aber nicht nur für Mensch und Natur, auch für die Verlässlichkeit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung ist die Untererfüllung der unsinnigen Zielvorgaben eine gute Nachricht. Die geforderten 5 Windkraftanlagen pro Tag hätten – wären sie in Betrieb – die Netzstabilisierung erschwert und unweigerlich die Systemkosten erhöht. Unsere Auswertungen lassen diesen Trend seit Jahren erkennen, im Artikel zu Pfingsten hatten wir das zuletzt ausführlich thematisiert.
Das desasterbegrenzende “Debakel” war aber nicht die einzige gute Nachricht des 21. Juli 2023:
Am selben Tag berichteten wir auch von einer neuen Studie der US-amerikanischen Energieberatungsagentur Radiant Energy Group. Ihr zufolge ist eine Revision des Ausstiegs aus der Kernenergie technisch nach wie vor möglich und dabei schneller und umfangreicher realisierbar, als bisher angenommen: Acht Kraftwerke könnten wieder in Betrieb genommen und damit ca. achttausend (!) Windkraftanlagen ersetzen. Damit würde
- Natur‑, Lebens- und Landschaftsräumen Schädigung erspart,
- der Wirtschaftsstandort gestärkt und
- ein unsozialer Ausstieg in einen sozialen Wiedereinstieg verwandelt.
Klingt ganz nach einem “must do” für die “Fortschrittskoalition”. Der grüne Vordenker Ralf Fücks (Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung) scheint die Zeichen der Zeit wahrzunehmen.
Bleibt zu wünschen, dass Bundesminister Habeck in der Sommerruhe die Kraft findet, über den eigenen Schatten zu springen.