Der Gastbeitrag des ehemaligen Präsidenten der Bundesnetzagentur mit dem Titel “Fehler im System” steht leider nicht als online-Angebot zur Verfügung. In der Print-Ausgabe des Handelsblatts vom 12. Dezember 2012 ist er auf S. 48 zu finden.
Über das Portal des Handelsblatts ist der Beitrag käuflich zu erwerben.
Hier eine Zusammenfassung:
Matthias Kurth warnt vor Webfehlern und tickenden Zeitbomben
Wieder einmal im Schnelldurchgang sei gerade ein Gesetzespaket zur Reparatur der Energiewende verabschiedet worden.
Diesmal sei es bei der Notoperation darum gegangen, die immensen Probleme beim Ausbau der Offshore-Windenergie halbwegs unter Kontrolle zu bringen: Die Haftung der Netzbetreiber werde durch einen Höchstbetrag gedeckelt, um einen Anreiz für private Investoren zu schaffen.
Die Betreiber und Anlagenbauer von Off-shore-Anlagen seien für die Übernahme weiterer Risiken nicht infrage gekommen, weil sie seit Jahren selbst mit großen Problemen kämpfen.
Eine Versicherungslösung sei wohl zu teuer und der Investitionsneigung abträglich gewesen.
Ergo habe sich der Gesetzgeber erneut dafür entschieden, den privaten Stromkunden zu belasten.
Dabei werde suggeriert, dass diese neue Umlage angesichts der sonstigen Kosten der Energiewende harmlos und niedrig sei.
Da mögliche Schäden jedoch nicht per Gesetz zu begrenzen seien, bediene man sich eines aus der Euro-Rettung bekannten Tricks:
Die Schadensregulierung werde in die Zukunft verlagert und die Tilgungszeiträume würden verlängert.
Eine „noch größere tickende Zeitbombe“ berge jedoch das Problem, Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wenn kein Wind bläst, keine Sonne scheint und es zusätzlich über mehrere Tage extrem kalt ist.
Dies sei „keine theoretische Gedankenspielerei oder Panikmache“:
Bereits im Februar 2012 sei es notwendig gewesen, die kalte Reserve aus älteren – zum Teil österreichischen – Kohlekraftwerken zu aktivieren, um Schlimmeres zu verhindern.
Seitdem sei die Lage nicht besser, sondern deutlich schlechter geworden.
Symptomatisch dafür sei der plötzliche Kurssturz der Eon-Aktie.
Nachdem der Vorstandsvorsitzende Teyssen freimütig verkündete, dass seine Gaskraftwerke im Süden Deutschlands nur noch wenige Stunden laufen und nicht einmal mehr die Betriebskosten erwirtschaften würden, sei der Wert der Aktie um 14 Prozent gefallen.
Aus betriebswirtschaftlichen Gründen müssten diese Kraftwerke eigentlich stillgelegt werden.
Dies würde jedoch die Sicherheitslücke vergrößern. Der Gesetzgeber habe daher bestimmt, dass Inhaber derartiger Kraftwerke diese nicht einfach abschalten dürfen.
Neben systemrelevanten Banken gäbe es seitdem auch systemrelevante Kraftwerke, deren Abschaltung die Bundesnetzagentur verhindern kann.
Dabei sei völlig offen, wie hoch die Entschädigung ausfällt und welche Kosten anerkannt werden, wenn der unwirtschaftliche Weiterbetrieb erzwungen wird.
Überdies brächten diese Zwangsmaßnahmen allenfalls Zeitgewinn:
Bereits beim derzeitigen Anteil von 25 Prozent erneuerbarer Energie an der Stromerzeugung werde sichtbar, dass das konventionelle Modell der Stromerzeugung unterminiert, wenn nicht gar zerstört werde.
Mit Ausnahme der Kraft-Wärme-Kopplung baue daher kaum jemand mehr neue Kraftwerke. Investoren bereuten gar die Entscheidung für bereits im Bau befindliche Vorhaben.
Im politischen Berlin werde das Problem „wie eine heiße Kartoffel“ behandelt und zwischen Wissenschaftlern, Beratern, Verbänden und Gesprächsrunden hin- und hergeschoben. Offenbar wolle man sich damit über die Bundestagswahl hinaus retten.
Der Grund für das Verschließen der Augen vor diesem Problem sei, dass die Lösung,
- egal, ob durch Kapazitätsmärkte, strategische Stromreserven, Auktionen für Kraftwerksstandorte oder Ähnliches herbeigeführt -
erneut nur durch eine zusätzliche und diesmal wirklich kräftige Umlage finanziert werden könne.
Diese sei wiederum dem privaten Stromkunden aufzubürden.
„Immer mehr Menschen könnte dann dämmern, dass die deutsche Energiewende grundsätzliche Webfehler hat“ – so Herr Kurth.
Angesichts der Pläne,
- bald noch die restlichen Kernkraftwerke, welche derzeit über 8000 Stunden im Jahr die Grundlast – gerade im Süden und im Winter – sicherten, abzuschalten und
- der Tatsache, dass der Bau von Gaskraftwerken gut sieben Jahre dauern könne,
werde es für Diskussionen langsam eng.
Im Gegensatz zur Euro-Rettung seien diese Probleme ausschließlich hausgemacht und vorhersehbar.
Daher solle „schnellstmöglich vom erratischen Rettungsmodus auf ein möglichst europäisch koordiniertes, neues Gesamtkonzept des Energiemarkts umgestellt werden“.
Sonst lerne das Ausland von der deutschen Energiewende nur, wie man es besser nicht macht.
Der Autor des Originalbeitrags war bis Februar 2012 Präsident der Bundesnetzagentur.
Er ist unter gastautor@handelsblatt.com zu erreichen.
Informationen zu seiner Vita finden Sie hier.