Zur Landtags­wahl – Ein Plädoyer gegen Selbstmord

Im Lande Theodor Fonta­nes (2014).
 

Energie­wende kontra Artenschutz

von

Dr. Anke Goette

  

Der Landtags­wahl­kampf in Branden­burg geht in die Schlussrunde.

Haupt­the­men sind die Innere Sicher­heit, die Bildungs­po­li­tik und natür­lich das BER-Flughafen-Debakel.

Doch auch die Energie­po­li­tik ist wieder in den Fokus geraten: Der Bau von mittler­weile 3275 Windkraft­an­la­gen (Stand: 30.6. 2014) hat dem Branden­bur­ger Bürger dank der Netzent­gelte die höchs­ten Strom­preise Deutsch­lands beschert, ohne dass die Braun­koh­le­ver­stro­mung in nennens­wer­tem Umfang reduziert worden wäre.

Und während sich die Branden­bur­ger Landes­re­gie­rung selbst­be­wusst als Vor­reiter in Sachen ›Energie­wende‹ präsen­tiert, wächst beson­ders auf dem Land um die sogenann­ten Windeig­nungs­ge­biete der Unmut der Bevöl­ke­rung darüber, eine als übereilt, unsozial und fehlge­steu­ert empfun­dene Energie­po­li­tik ausba­den zu müssen.

In der politi­schen Debatte haben die meisten Landtags­kan­di­da­ten in diesem Zusam­menhang nur Spott für das Thema »Natur­schutz« übrig. Dabei wird ausge­blen­det, welchen verhee­ren­den Tribut allein die Tierwelt für das Experi­ment »Erneu­er­bare Energien« zahlt.

Lebens­ge­fahr! 

In der Luft …

Fast 100.000 Vögel und rund 250.000 Fleder­mäuse lassen jährlich an deutschen Wind­kraftanlagen ihr Leben. Die Dunkel­zif­fer der Tierver­luste ist hoch, denn die meisten Opfer werden rasch durch Fress­feinde beseitigt.

Der Rotmi­lan bei der Jagd.
Beson­ders oft ist der Greif­vo­gel zwischen den Rotoren von Windkraft­an­la­gen zu beobach­ten, hier zum Beispiel im ›Windpark‹ Schlalach.

Die Aussicht auf guten Jagder­folg lockt beson­ders die Greif­vö­gel in die ›Windparks‹, und es verwun­dert daher nicht, dass diese Vogel­ar­ten an der Spitze der Verlust­lis­ten liegen: Die Tiere konzen­trie­ren sich vollstän­dig auf ihre Beute; zudem wird von ihnen die hohe Geschwin­dig­keit der Rotor­blät­ter falsch einge­schätzt, und so werden die Futter­su­chen­den selbst zu Opfern − der »Rotor­schlag« zerstü­ckelt oder zer­schmettert sie.

Beson­ders dem streng geschütz­ten Rotmi­lan scheint seine Vorliebe für Aas zum Ver­hängnis zu werden. Öfter als jeder andere Vogel kolli­diert er mit den Windkraft­anlagen, die sich in den letzten Jahren zur häufigs­ten Todes­ur­sa­che dieser Vogel­art entwi­ckelt haben. Gut 50 % des Rotmi­lan-Weltbe­stan­des brütet in Deutsch­land, allein 8 % im Bundes­land Brandenburg.

Doch trotz der großen Verant­wor­tung, die Branden­burg für die Rotmi­lan-Popula­tion trägt, wurden 2012 die »Tieröko­lo­gi­schen Abstands­kri­te­rien« (TAK) für den Vogel per Erlass gestri­chen, um dem Ausbau der Windener­gie auch in den Wäldern Raum zu verschaf­fen. Dies, obwohl die Staat­li­che Vogel­schutz­warte im LUGV bereits beim Stand der Windkraft von 2012 warnte, dass ein weite­rer Ausbau zu einer »signi­fi­kan­ten Erhöhung des Tötungs­ri­si­kos im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG« führen werde und die jährli­che Kolli­si­ons­rate in Branden­burg auf 308 Tiere schätzte.

Doch nicht nur der direkte Rotor­schlag gefähr­det die Vogel­welt. Schon die Luftver­wirbelungen an den Rotor­blät­tern können zu Abstür­zen führen. Darüber hinaus enden Mastan­flüge kleiner Vögel, die in Panik­si­tua­tio­nen den hellen Turm mit dem freien Luftraum verwech­seln, oft tödlich, und bei schlech­ter Sicht verun­glü­cken ganze Zugvo­gel­for­ma­tio­nen an den Windkraftanlagen.

Waldsaum-Areale mit Windrädern - wie im ›Windpark‹ Feldheim

Waldsaum-Areale mit Windrä­dern -
wie im ›Windpark‹ Feldheim

Nicht besser ergeht es den Fleder­mäu­sen. Auch sie führt die Nahrungs­su­che in die ›Windparks‹, denn reiches Insek­ten­vor­kom­men um die warmen Türme herum lockt sie an. Laut Nabu entwi­ckeln sich gerade Winde­n­ener­gie­an­la­gen im Wald für Fle­dermäuse zur ›ökolo­gi­schen Falle‹: Durch die notwen­di­gen Rodun­gen für die Bau­arbeiten entste­hen neue, insek­ten­rei­che Waldsaum­bio­tope, ein attrak­ti­ves Revier für die Fleder­mäuse, die ihrer aufstei­gen­den Beute folgen.

Darüber hinaus geraten Arten, die wie Zugvö­gel wandern oder über den Baumwip­feln jagen, leicht in den Rotor­be­reich der Windrä­der. Nicht nur Rotor­schlag und Absturz drohen dort; töd­liche Gefahr geht auch von den Unter­druck­fel­dern aus, die bei Betrieb der Anlagen entste­hen und die Flugtiere regel­recht platzen lassen (»Barotrauma«).

Fleder­mäuse erfül­len im Natur­haus­halt eine überaus wichtige Funktion: Als ›ökolo­gische Waffe‹ sind sie zur Reduzie­rung von Schad­in­sek­ten in Land- und Forstwirt­schaft kaum zu übertref­fen und erspa­ren die ›chemi­sche Keule‹. Ein Drittel ihres Körper­ge­wich­tes vertilgt eine Fleder­maus pro Nacht an Insekten.

Doch der Lebens­raum der streng geschütz­ten Tiere wird immer weiter einge­schränkt. Seit dem flächen­de­cken­den Ausbau der Windkraft wird in Deutsch­land ein steti­ger Arten­rück­gang regis­triert. Im europäi­schen Vergleich der Verlust­lis­ten be­legt Deutsch­land einen trauri­gen Spitzen­platz, im inner­deut­schen Bundesländer­vergleich liegt Branden­burg mit weitem Abstand vorn.

Betrof­fen sind vor allem der Große Abend­seg­ler, die Rauhaut- und die Zwerg­fle­der­maus. Die niedrige Repro­duktionsrate der Fleder­mäuse (1, selten 2 Junge pro Jahr) kann die Verluste kaum aus­gleichen. Und so rechnen Wissen­schaft­ler mit guten Gründen bereits in naher Zukunft mit wirtschaft­li­chen Schäden auf dem europäi­schen Agrar­sek­tor durch zuneh­men­den Insektenbefall.

…und am Boden

Das Leiden am Boden, durch die Energie­wende in Gang gesetzt, verläuft weniger augen­fäl­lig, jedoch ebenso unauf­halt­sam. Auf einige Vogel­ar­ten üben Windkraft­anlagen eine sog. Scheuch­wir­kung aus, d. h. essen­ti­elle Lebens­räume, in denen ›Windparks‹ entste­hen, werden gemie­den. So verlie­ren z. B. Zugvö­gel wie Kranich, Gans und Schwan wichtige Rastplätze.

Ausweich­ge­biete sind rar, zumal schnell­wüch­sige Energie­pflan­zen-Monokul­tu­ren zuneh­mend Flächen beset­zen und der Vogel­welt wenig zu bieten haben: Das Nah­rungsangebot ist mager, der Bewuchs zu dicht und zu hoch. Doch diese Kultu­ren garan­tie­ren gute Einnah­men, so dass immer mehr Brachen und Grünland verschwinden.

Nicht selten sind es diesel­ben Vogel­ar­ten, die sowohl unter der Windkraft als auch unter der ›Bioenergie‹-Herstellung zu leiden haben. Viele dieser Vögel gerie­ten bereits während der letzten Jahrzehnte zuneh­mend durch die moderne Landwirt­schaft mit ihren zahlrei­chen Arbeits­gän­gen, dem Maschi­nen­ein­satz und der Verwen­dung von Biozi­den in Bedräng­nis; Nesträu­ber – wie die neu einge­wan­der­ten Wasch­bären und Marder­hunde – beein­träch­tig­ten ebenfalls den Nachzuchterfolg.

Ein drama­tischer Bestands­rück­gang ist bei so populä­ren Vögeln wie Rebhuhn, Kiebitz und Lerche zu verzeich­nen. Der Ausbau der ›Erneu­er­ba­ren Energien‹ verschärft diesen Überlebenskampf.

Monokul­tu­ren für die ›Bioen­er­gie‹- Herstel­lung, auch als »Vermai­sung der Landwirt­schaft« kriti­siert, sind in Kombi­na­tion mit Windkraft­an­la­gen und deren Waldsaum-Position beson­ders bedroh­lich für den Arten­be­stand vieler Tiere.

 

Storch+WKA

Ein Weißstorch fliegt am Rand des ›Windparks‹ Schlalach.

Die geschil­derte Entwick­lung betrifft auch die Großtrappe, die zu den schwers­ten flugfä­hi­gen Vogel­ar­ten gehört (Hähne bis 17 kg!).

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Großtrap­pen bei der Balz: Die großen, schwe­ren Hähne werben um die deutlich kleine­ren,  unschein­ba­re­ren Hennen.

Einst deutsch­land­weit verbrei­tet, ist die Popula­tion auf rund 150 Exemplare in drei kleinen Schutz­ge­bie­ten Branden­burgs und Sachsen-Anhalts geschrumpft. Nur der unermüd­li­che Einsatz der Staatli­chen Vogel­schutz­warte sowie des Förder­ver­eins Großtrap­pen­schutz e. V. konnte ein Ausster­ben des streng geschütz­ten Vogels verhindern. 

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Für die Aufzucht des Nachwuch­ses werden weite, unver­baute Lebens­räume mit großer Arten­viel­falt benötigt.

großtrAls ursprüng­li­cher Steppen­be­woh­ner liebt der ›Märki­sche Strauß‹ weite, unver­baute und daher überschau­bare Lebens­räume mit großer Arten­viel­falt an Blüten, Kräutern, Insek­ten, Würmern und Spinnen. 10.000 Insek­ten braucht es, um ein Küken nur über die ersten zwei Lebens­wo­chen zu bringen. Mit den moder­nen Zeiten kommt der Boden­brü­ter schlecht zurecht. Bedrohte bereits die Inten­si­vie­rung der Landwirt­schaft den Fortbe­stand der Art, so verrin­gerte sich der für die Großtrappe nutzbare Lebens­raum durch Maßnah­men für ›alter­na­tive‹ Energie­ge­win­nung gefähr­lich wei­ter: Dabei erwie­sen sich auch die Freilei­tun­gen als Todesfallen.

Bezeichnender­weise befin­den sich ausge­rech­net zwei Vorzei­ge­pro­jekte des Landes Branden­burg, die ›Windparks‹ von Feldheim und Schlalach, auf wichti­gen Wintereinstandsgebie­ten der Vögel; seit Errich­tung der Anlagen meiden die scheuen Tiere diese Areale gänzlich.

Im Frühjahr 2013 erstellte Prof. J. C. Alonso, inter­na­tio­nal führen­der Wissen­schaft­ler auf diesem Forschungs­ge­biet, eine Exper­tise zur Lage der deutschen Großtrap­pen-Popula­tion. Darin kam er zu dem Schluss, dass eine dauer­hafte Überle­bens­si­che­rung der Art nur möglich ist, »wenn jede weitere Verrin­ge­rung und Entwer­tung der Habitate beendet wird«. Für Alsonso ist »der Fall der Großtrappe und der Wind­energienutzung ein deutli­ches Beispiel eines Konflik­tes zwischen der Erhal­tung der Biodi­ver­si­tät und der Energie­po­li­tik«.

Kolli­si­ons­ri­siko, Barrie­re­wir­kung auf Zugrou­ten und Flugkor­ri­do­ren, Entwer­tung und Verlust lebens­not­wen­di­ger Lebens­räume: Der flächen­de­ckende Ausbau der Windkraft drängt viele Tierar­ten an den Rand ihrer Existenz.

Am 15. April 2014 verab­schie­dete der Landtag von Branden­burg einstim­mig ein Maßnah­men­pa­ket zum Schutz der biolo­gi­schen Vielfalt. Das Umwelt­mi­nis­te­rium räumte ein, dass rund drei viertel aller Biotope und etwa die Hälfte aller 6000 auf der Roten Liste stehen­den Arten in Branden­burg gefähr­det seien. Jede zehnte Art ist hier akut vom Ausster­ben bedroht!

Vor diesem Hinter­grund erfährt man unter dem Punkt »Handlungs­feld erneu­er­bare Energien«, dass mit den Landschafts­plä­nen für die Regio­nal­pla­nung, dem »Erlass des MUGV zur Beach­tung natur­schutz­fach­li­cher Belange bei der Auswei­sung von Wind­energiegebieten« (2011) und den »Tieröko­lo­gi­schen Abstands­kri­te­rien« (2012) eine natur­schutz­ver­träg­li­che Steue­rung der Windener­gie gewähr­leis­tet sei − mithin sind keiner­lei neue, schlag­kräf­tige Maßnah­men zu erwar­ten, die den Konflikt zugun­sten der Biodi­ver­si­tät lösen könnten.

Der große Verlie­rer der Energie­wende, wie sie im Land Branden­burg umgesetzt wird, ist die Artenvielfalt.

Heißt das Plädoyer für die Biodi­ver­si­tät, dass das Tier vor dem Menschen stehen soll? 

Ist es eine Luxusdebatte? 

Natur­schutz als Selbstzweck?

Nichts von alledem! 

Aktuell ist das Bienen­ster­ben in aller Munde und scheint auch, viel zu spät, bei der Politik angekom­men zu sein.

Die einfa­che Gleichung »ohne Bienen weder Früh­stückshonig noch Äpfel« ist ein treffen­des Beispiel für die komple­xen Zusammen­hänge in der Natur, in die auch der Mensch einge­bun­den ist. Jede Tier- und Pflan­zenart hat ihre fein abgestimmte Aufgabe in diesem Gefüge, das wir bislang nur zu einem winzi­gen Bruch­teil erfas­sen können, das aber die mensch­li­che Lebensgrund­lage bildet. So ist z. B. das Ökosys­tem »Wald« unend­lich viel mehr als die Summe seiner Bäume. Wir sollten uns von der Illusion lösen, dass die Zerstö­rung von Natur­raum und Arten­viel­falt durch ›Kompen­sa­ti­ons­maß­nah­men‹ ausge­gli­chen werden kann.

Die Folgen des Biodi­ver­si­täts-Desas­ters treffen letzt­end­lich uns alle.

 

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Branden­burg, wie es Fontane kannte.

Dr. Anke Goette

Borkheide, den 8. 9. 2014

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