Am 12. Juli 2019 präsentierte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ein Sondergutachten zur Klimapolitik. In bisherigen Gutachten hatten sich die “Wirtschaftsweisen” wiederholt kritisch zur Energiepolitik geäußert und – ganz in vernunftkräftigem Sinne – für rationalere Ansätze geworben. So bspw. in den Jahresgutachten 2012, 2013, 2014, 2015, 2016 sowie einem Forderungskatalog 2017.
Aus Anlass der Schülerproteste zum Thema und der auf diese folgenden politisch-medialen Dynamik hat die Bundesregierung die Wirtschaftsweisen um dieses Sondergutachten erbeten. Weitgehend zutreffend wurde dessen Inhalt in der FAZ wiedergegeben:
Dass die aktuelle, auf Subventionen bestimmter Stromerzeugungstechniken fokussierte “Klimapolitik” ein ineffizienter und weitestgehend auch ineffektiver Weg ist, die gesetzlich verankerten Emissionsreduktionsziele zu erreichen, wird darin einmal mehr mehr als deutlich.
Unter der Vorgabe, bessere Maßnahmen zu Erreichung dieser Ziele zu finden, plädiert der Sachverständigenrat für eine Ausweitung des Emissionshandelssystems auf alle Sektoren und für Technologieoffenheit. Bei der Süddeutschen Zeitung hat man diese Kernbotschaft vermutlich nicht verstanden, denn die Schlagzeile
stellt das Gutachten ziemlich auf den Kopf.
Keineswegs kommen die Ökonomen zu dem Schluss, dass Deutschland “dringend etwas tun müsse und eine CO2-Steuer überfällig sei”, wie der hier nicht verlinkte Artikel und Kommentar des Münchner Presseorgans nahelegt. Wer nicht auf eine bestimmte Agenda eingeschworen werden, sondern die tatsächliche Argumentation verstehen möchte, dem sei die Lektüre des Originals empfohlen.
Einige u.E. wichtige Passagen seien hier zitiert:
Klimaszenarien mit großer Unsicherheit verbunden Klimamodelle simulieren zukünftige Klimaveränderungen auf der Basis von unterschiedlichen Entwicklungspfaden für den Ausstoß von Treibhausgasen. Aus Emissionsszenarien ergeben sich somit Aussagen über wahrscheinliche Temperaturveränderungen in der langen Frist, etwa bis zum Jahr 2100. Bei der Interpretation der Ergebnisse dieser Berechnungen muss berücksichtigt werden, dass diese auf zahlreichen Annahmen über zukünftige Entwicklungen beruhen, etwa zum Bevölkerungswachstum, zu ökonomischen und sozialen Entwicklungen, technologischen Veränderungen oder dem weltweiten Ressourcenverbrauch. Zudem bestehen erhebliche Unsicherheiten über die Wirkungskanäle und die Zusammenhänge. Dementsprechend variieren je nach Klimamodell und den darin unterstellten Annahmen die jährlichen Emissionsmengen und damit verbunden die Temperaturveränderungen teilweise stark. [S.16] Im Jahr 2016 war Deutschland für 2,3 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, die Europäische Union (EU) für 10,5 %. Zwar lässt sich bereits beobachten, dass der technologische Wandel dazu führt, dass heutige Schwellen- und Entwicklungsländer im Verlauf ihrer wirtschaftlichen Entwicklung niedrigere Emissionen je Einwohner aufweisen als ehedem die Industriestaaten in der gleichen Entwicklungsstufe. Dennoch dürften die Anteile Deutschlands und der EU an den weltweiten Emissionen aufgrund des sehr dynamischen Bevölkerungswachstums insbesondere in Afrika und Asien weiter zurückgehen. Selbst wenn es gelänge, die Emissionen Deutschlands und der EU auf null zu senken, könnte dies somit global nur einen kleinen Beitrag leisten und den Klimawandel nicht aufhalten. [S. 10f.] Für die Industriestaaten dürften die unmittelbaren ökonomischen Kosten durch die klimatischen Veränderungen daher mittelfristig recht gering bleiben. Für einzelne Staaten und Regionen, die weniger unmittelbar von den Klimaveränderungen betroffen sind, könnten sich unter Umständen mittelfristig sogar ökonomische Vorteile durch den Klimawandel ergeben, insbesondere im Tourismusbereich und durch Handelsgewinne. So geht die OECD (2015) davon aus, dass etwa für die Gruppe der vier größten EU-Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2060 aus dem Klimawandel nur geringe negative Einflüsse auf die Höhe des BIP entstehen werden. Die ILO (2019) findet bis zum Jahr 2030 ebenfalls nur marginale Effekte auf das BIP und den Arbeitsmarkt in Europa. Die größten volkswirtschaftlichen Kosten in Europa dürften im Süden entstehen (Ciscar et al., 2014). Deutschland und die EU könnten jedoch durch die starke Verflechtung mit dem Welthandel (Peter et al., 2018) und nicht zuletzt die möglicherweise durch den Klimawandel verursachten Wanderungsbewegungen besonders anfällig für die wirtschaftlichen Folgen in anderen Teilen der Welt sein. [S. 23] Starke Verhandlungsposition anstreben Während die Maßnahmen zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels auf nationaler Ebene verbleiben können, ist bei der Mitigation ein internationales Vorgehen notwendig. So ist der Anteil deutscher Emissionen an den weltweiten Emissionen so klein, dass selbst eine Reduktion auf null für sich genommen nur einen marginalen Einfluss auf das weltweite Klima hätte. Selbst der Anteil der EU ist nicht groß genug, um für sich genommen einen großen Einfluss auszuüben. Zudem beeinträchtigt ein nationales oder rein europäisches Vorgehen tendenziell die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft und riskiert, dass Emissionen durch Carbon Leakage nicht eingespart, sondern lediglich ins Ausland verlagert werden. Ebenso kann ein international koordiniertes Vorgehen einer Reduktion der Preise fossiler Brennstoffe entgegenwirken, die dadurch ausgelöst werden könnte, dass diese aufgrund der Erwartung künftig steigender CO2-Preise beschleunigt extrahiert würden und dadurch ihr Angebot am Weltmarkt erheblich anstiege („Grünes Paradoxon“; Sinn, 2008; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2016). Je mehr Staaten sich an einer koordinierten Vorgehensweise beteiligen, desto geringer ist die Gefahr beider Formen von Carbon Leakage. […] Ob eine Vorreiterrolle angestrebt werden sollte, gemäß der andere Staaten einer ehrgeizigeren Reduktion der Treibhausgasemissionen folgen, die über das hinausgeht, was in internationalen Verträgen vereinbart wurde, wird in der verhaltens- und spieltheoretischen Forschung infrage gestellt (Cramton et al., 2015). Dort dominiert vielmehr die Sorge, dass ein nationales Vorpreschen Trittbrettfahrerverhalten befördern könnte und ein wichtiges anzubietendes Element in internationalen Verhandlungen unnötig preisgeben würde. Die Vorreiterrolle führte dann in der Konsequenz lediglich zu hohen Kosten, ohne dass entscheidende Verbesserungen des Weltklimas erreicht würden (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2010). […] In der Spieltheorie wird Reziprozität, also das Prinzip der Leistung gegen Gegenleistung, als wichtiges Element internationaler Vereinbarungen identifiziert. Ungenügende Reziprozität führt tendenziell zu sinkender Teilnahme und geringerem Ehrgeiz (Kraft-Todd et al., 2015). Die empirische und theoretische Literatur zeigt, dass Alleingänge keine starken kollektiven Anstrengungen nach sich ziehen (Ledyard, 1995). Internationale Vereinbarungen mit ambitionierten Zielen müssen dementsprechend so ausgestaltet sein, dass die vereinbarten Anstrengungen der anderen Teilnehmer den eigenen ähneln (MacKay et al., 2015). Es sollte bei diesen Verhandlungen also darum gehen, durch den geschickten Einsatz von eigenen verbindlichen Zusagen Zug um Zug eine stärkere Kooperation zu erreichen. Die aktuell und zukünftig größten Emittenten von Treibhausgasemissionen sind (…) unterschiedlich stark vom Klimawandel betroffen. Es zeigt sich, dass die großen EU-Mitgliedstaaten weniger verwundbar sein dürften als die meisten anderen Staaten: Während Deutschland in der Rangfolge aufsteigend mit der Verwundbarkeit auf Rang 4 von 181 Staaten liegt, Frankreich auf Rang 6 und Italien auf Rang 15, finden sich die Vereinigten Staaten auf Rang 22. China liegt auf Rang 66, Indien auf Rang 131 und die afrikanischen und kleinere Insel-Staaten finden sich auf den untersten Rängen. Durch die höhere Verwundbarkeit der anderen Staaten dürfte es eigentlich ein großes internationales Interesse an Reziprozität und einer Einbindung Deutschlands und der EU in die globalen Anstrengungen zum Klimaschutz geben. Statt einer strategisch vermutlich unklugen Vorreiterrolle beim Setzen von Zielen für die rein nationale oder europäische Reduktion von Treibhausgasemissionen sollte eher erwogen werden, eine Vorbildfunktion einzunehmen. Diese kann durchaus hilfreich sein, wenn es etwa einer hoch entwickelten und fossile Energie intensiv nutzenden Volkswirtschaft wie Deutschland gelänge, die international vereinbarten Ziele volkswirtschaftlich effizient und ohne größere gesellschaftliche Verwerfungen zu erreichen. Dies war bislang keine Priorität der deutschen Klimapolitik. [S. 26f.] Ein wichtiger Teil ambitionierter Klimapolitik ist dabei die umfassende Förderung von Forschung und Innovation im Bereich des Klimaschutzes, die darauf abzielt, neue Lösungen mit weltweitem Anwendungspotenzial zu entwickeln und damit zugleich den Wirtschaftsstandort Deutschland im Hinblick auf seine Exportchancen zu stärken. [S. 12] Kohleausstieg und EEG teuer und ineffizient Obwohl es für den Energiesektor kein eigenes EU-Ziel für Deutschland gibt, da dieser in das EU-ETS integriert ist, finden die beiden teuersten nationalen Projekte zur Emissionsreduktion in diesem Bereich statt: der Kohleausstieg und die Förderung von erneuerbaren Energien durch das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG). Angesichts der abzusehenden Verfehlung des selbst auferlegten nationalen Ziels für die Rückführung der Emissionen hat die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, um den gezielten Ausstieg aus der Kohlestromerzeugung vorzubereiten. [S. 39] Obwohl die EU-ETS-Sektoren bereits durch das EU-ETS abgedeckt sind und die Emissionen gemäß dessen Obergrenze sinken, leistet sich Deutschland teure Projekte, die eher als industrie- und nicht klimapolitisch motiviert einzuordnen sind. Sowohl der Ausstieg aus der Kohleverstromung als auch der Ausbau der erneuerbaren Energien würde im Zeitverlauf durch einen CO2-Preis ohnehin bewirkt, dann allerdings zum volkswirtschaftlich effizienten Zeitpunkt. Die in der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen müssen zwar eingehalten werden, für die Zukunft könnte das EEG jedoch abgeschafft und auf die Wirkung des CO2-Preises gegebenenfalls im Verbund mit begleitenden Maßnahmen vertraut werden (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2019). [S. 45] |
Aufbauend auf diesen grundsätzlichen Einordnungen und der Maßgabe folgend, die ökonomisch besten Instrumente einer nationalen Vermeidungspolitik zu sondieren, sprechen sich die Sachverständigen – als Alternative zum Status Quo willkürlicher und widersprüchlicher Detailsteuerung – erwartungsgemäß für eine einheitliche Bepreisung von CO2 aus. Von den denkbaren Ausgestaltungen ziehen sie – nach ausgiebiger Diskussion der jeweiligen Vor- und Nachteile – eine Ausweitung des Emissionshandelssystems auf alle Sektoren (Mengensteuerung) einer Steuerlösung vor. Allenfalls als Zwischenlösung wird eine solche in Betracht gezogen.
Wir lesen und lernen:
Die medial weit verbreitete Einschätzung diverser Sprecher/innen der Schülerdemos und ihrer viel beachteten Multiplikatoren auf YouTube, wonach die
“Jugend um ihre Zukunft betrogen” würde,
“alles Lernen sowie unnütz”, weil die
“Welt dem Untergang geweiht” sei und deshalb
“hier und jetzt und sofort drastisch gegengesteuert” werden müsse,
findet im Gutachten keine Basis.
Für Deutschland müsste eine rationale Klimapolitik viel stärker auf die Anpassung an als auf die “Bekämpfung” des Klimwandels (Adaptation vs. Mitigation) setzen. Bekämpfung ist allenfalls im Sinne eine Vorbildfunktion und im Rahmen eines international koordinierten Vorgehens sinnvoll. Eine Vorreiterrolle, wie sie seitens der aktuellen Regierung sowie den Oppositionsparteien Linke und Grüne angestrebt wird, die sich an Ausbauzahlen für Windenergie und andere subventionierte Stromerzeugungstechniken orientiert, ist keineswegs zielführend: Sie schreckt die wirklich bedeutenden Emittenten eher ab, als sie zu koordiniertem Handeln zu motivieren.
Kluge Klimapolitik ist das Gegenteil von dem, was unter diesem Stichwort in Deutschland passiert. Statt “panisch” mehr vom Selben zu tun, wäre besonnenes Handeln angezeigt.
Ein weiteres Petitum gegen die Panik, die einige Protagonisten gezielt schüren wollen, lieferte wenige Tage später Professor Joachim Weimann mit einem Gutachten im Auftrag der Familienunternehmer:
Eine ebenfalls sehr lesenswerte Aufsatzsamlung zur aktuellen “Klimadebatte” lieferte die schweizer Weltwoche:
Dieses Sonderheft lässt Vertreter aller Positionen zu Wort kommen und möchte einer ausgewogenen und sachlichen Diskussion den Boden bereiten. Ein Anliegen, das wir grundsätzlich sehr begrüßen.
Jenseits der Bitte um Debatte und der Warnung vor Panik sehen wir es weiterhin nicht als unsere Aufgabe an, die Klimadiskussion mit zu prägen. Egal, für wie dringlich man nationale Maßnahmen hält – wer sich dem Thema rational und mit gutem Willen nähert, muss die aktuelle Energiepolitik (unser Kernthema!) kritisch hinterfragen.
Egal, ob man weiß, blau oder rot für die schönste Farbe hält, sollte man aus unübersehbaren Zeichen die selben Schlüsse ziehen.