Avifauna

Windrä­der – warum sie Vögel töten und man nur zufäl­lig die Opfer findet

Dr. Fried­rich Buer 

Windrä­der sollen massen­haft Vögel erschla­gen? Wie soll das gehen? Die sehen doch hübsch aus, so mit ihren roten Strei­fen und drehen sich so fried­lich und langsam.

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Aus der Ferne erschei­nen sie harmlos. Doch die Flügel­spit­zen rasen mit bis zu 400 km/h.

Aber nur aus der Ferne. Aus der Nähe sehen wir Indus­trie-Gigan­ten, mitten in der schöns­ten Landschaft. Turmspit­zen und Rotoren verlie­ren sich in über 200 Meter Höhe, 50 Meter höher als der Kölner Dom. Und die Flügel­spit­zen rasen mit bis zu 400 km/h durch die Luft. Es ist wie beim Jumbo­jet hoch am Himmel. Er scheint klein wie ein Spiel­zeug und bewegt sich kaum. Dabei ist er riesen­groß und 800 km/h schnell. Und wehe dem, der in so einen Häcks­ler gerät. Jeder Flügel ist schwer wie ein LKW. Ist einer vorbei, kommt schon der nächste und nächste. Das ist der wahre Kampf gegen Windmüh­len­flü­gel. Den verliert jeder Vogel und jede Fledermaus.

Das wissen auch die Inves­to­ren und Betrei­ber und die Geneh­mi­gungs­be­hör­den wissen es auch. Nur einen winzi­gen Ausschnitt der Folgen zeigen diese vier erschüt­tern­den Fotodo­ku­mente. Einfach wegse­hen wie bisher macht die Sache nur noch schlim­mer. Mit Natur­schutz hat das nichts mehr zu tun.

Erschla­ge­ner Rotmi­lan unter Windkraftanlage. 
Zerhack­ter Weißstorch.
Seead­ler in Dänemark, kommt auch in Deutsch­land vor.
Schwarz­storch mit abgehack­ten Beinen (alle Fotos Archiv).
Gallun, Branden­burg, 17.9.2014
Ein Mäuse­bus­sard. Opfer der Fa. “Energie­quelle”.

Zerhackt jemand einen Storch, kommt er vor Gericht. Geneh­migt eine Behörde Windrä­der, von denen sie weiß, dass sie Störche zerha­cken, kommt sie nicht vor Gericht und die Inves­to­ren und Betrei­ber auch nicht. Hier wird mit zweier­lei Maß zu Gunsten von Geschäf­te­ma­chern und zu Lasten der Natur gemessen.

Und was ist bei den Spitzen­funk­tio­nä­ren der Natur­schutz­ver­bände los? Warum keine Empörung über das Massa­ker? Nur zwei Vögel pro Windrad und Jahr kämen um. Bei 25.000 Windrä­dern sind das schon 50.000, also kein Problem? Und warum wirbt der BUND-Vorsit­zende Hubert Weiger gemein­sam mit dem Bundes­ver­band Windener­gie e.V. für Windrä­der, obwohl er weiß, dass sie massen­haft Vögel und Fleder­mäuse erschla­gen? Er meint, im Straßen­ver­kehr kämen ja noch mehr Vögel um. Doch so könnten sich auch die krimi­nel­len Vogel­fän­ger Europas vor Gericht heraus­re­den: Im Straßen­ver­kehr kommen ja noch mehr Vögel um. Kürzlich hörte ich gar von einem ehema­li­gen BUND-Funktio­när: Wir bauen unsere Windrä­der nur da, wo es keine Vögel gibt.

Übrigens machen auch die Kirchen bei dem Geschäft mit den Windrä­dern mit. „Bewah­rung der Schöp­fung“ ist das ganz sicher nicht.

Tote Vögel auch wenn die Rotoren still stehen. Warum? Seit dem Urvogel Archaeo­pte­rix mussten Vögel nie mit Balken in der Luft rechnen, jeden­falls nicht in 200 Meter Höhe und tun es deshalb auch heute nicht. Also knallen sie dagegen. Einen „Scheuch­ef­fekt“ gibt es nicht. Dieses Braun­kehl­chen ist auch wieder nur ein Beispiel von vielen.

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Die Rotoren sind viel größer als man denkt. Das wird deutlich, wenn sie wie hier in einen Stadt­plan einge­blen­det werden.

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Sie überstrei­chen eine riesige Fläche, in diesem Fall rund fünf Hektar oder etwa sieben Fußball­fel­der. Für Vögel und Fleder­mäuse sind Windrä­der riesige, senkrecht stehende tödli­che Sperr­zo­nen. Tatsäch­lich sind diese Sperr­zo­nen noch größer als die von den Rotoren überstri­che­nen Kreis­flä­chen. Grund sind die hefti­gen Turbu­len­zen und Druck­schwan­kun­gen an den Rotor­blät­tern, vor allen den Spitzen.

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Dieses Schild an den Bahnstei­gen zeigt, was sogar vergleichs­weise schwer gewich­ti­gen Menschen droht, die zu dicht an der Kante stehen: Sie werden vom Sog an den Zug gezogen. Dagegen sind Vögel und Fleder­mäuse feder­leicht und die Rotor­blät­ter sind nicht langsam wie der einfah­rende Zug. Sie rasen mit 100 bis 400 km/h vorbei und entspre­chend brutal sind Sog und Turbu­len­zen. Schon ohne dass die Vögel die Rotor­blät­ter berüh­ren, zerreißt es ihnen die Lungen und sie fallen ohne äußere Verlet­zun­gen tot zu Boden. Den Fleder­mäu­sen können sogar die Fettzel­len zerplat­zen. Barotrau­mata heißen solche Verlet­zun­gen durch Druck­schwan­kun­gen. Einige Ältere erinnern sich noch mit Schre­cken an die Luftmi­nen im zweiten Weltkrieg. Die von den Explo­sio­nen ausge­lös­ten Luftdruck­schwan­kun­gen zerris­sen den Menschen die Lungen, obwohl sie im Bunker saßen.

Doch warum findet man so selten die Opfer der Windräder? 

Die Gründe sind offensichtlich.

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Je nachdem, wo sie mit dem Flügel kolli­die­ren, fliegen sie mit der jewei­li­gen Radial­ge­schwin­dig­keit nach rechts, nach links, nach oben oder nach unten. Und je nach Windrich­tung und Windstärke verteilt das Windrad seine Opfer auf eine hektar­große Kreis­flä­che. Große Vögel sind eher zu finden, kleine höchs­tens zufäl­lig, von Fleder­mäu­sen bleibt fast nichts übrig. Bei Bewuchs um das Windrad, was meist der Fall ist, im Wald oder gar im Meer wird die Suche praktisch aussichtslos.

Die Windrad­op­fer haben viele Liebha­ber, die nur auf die nächste „Fütte­rung“ warten. Deshalb „verschwin­den“ die Opfer sehr schnell. Auch das ist in Fachkrei­sen bekannt. Natur­freunde kennen das von den Turmfal­ken, die aus dem Umland angelockt werden und auf dem Gebüsch am Straßen­rand auf die Opfer der Autos warten.

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Diese Grafik zeigt nur einige Beispiele der Inter­es­sen­ten für Windrad­op­fer, links die am Tage aktiv sind und rechts die nächt­li­chen Inter­es­sen­ten. Gemein­sam wirken sie schnell und gründ­lich. Schon vor Jahren berich­tete der Präsi­dent des Landes­um­welt­am­tes Branden­burg, Prof. Dr. Matthias Freude, von toten Eintags­kü­ken, die er um Windrä­der ausle­gen und teilweise sogar verste­cken ließ, dass sie am nächs­ten Morgen fast alle „verschwun­den“ waren. Jäger im Mecklen­burg-Pommern meinen sogar, es gäbe dort immer mehr Füchse, weil die Windrä­der sie füttern.

Trotz­dem gibt es sie, die Zufalls­funde und eigent­lich sollen sie der seit 1990 einge­rich­te­ten zentra­len Erfas­sung­stelle bei der Vogel­warte Branden­burg gemel­det werden. Doch das geschieht selten, denn wer weiß das schon. Selbst einem langge­dien­ten BUND-Funktio­när, den ich fragte, war das unbekannt. Dabei ist die Liste der Zufalls­funde inzwi­schen erschre­ckend lang. Die erste Grafik nennt 83 Arten, von Alpen­seg­ler bis Zwerg­ohr­eule. Die meisten sind tagak­tiv. Der Rotmi­lan steht mit 55 % an der Spitze der Zufalls­funde. Selbst so gewandte und rasante Flieger wie die Mauer­seg­ler erwischen die Rotoren.

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Die zweite Grafik nennt die meist nacht­ak­ti­ven Fleder­mäuse. Es sind fast alle Arten betrof­fen. Die Opfer unter den oft nächt­lich ziehen­den Zugvö­geln darf man auch nicht vergessen.

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Die wahren Opfer­zah­len unter Vögeln und Fleder­mäu­sen kennt niemand. Das Michael Otto-Insti­tut zählt jährlich 100.000 erschla­gene Vögel. Die Dunkel­zif­fer scheint mindes­tens zehnmal höher zu sein. Auf 200.000 erschla­gene Fleder­mäuse im Jahr kommt das Leibnitz-Insti­tut für Zoo- und Wildtier­for­schung. Seine Mitar­bei­ter finden im Durch­schnitt zehn tote Fleder­mäuse pro Windrad, darun­ter Zugfle­der­mäuse aus Osteu­ropa. Wir erschla­gen also die Zugfle­der­mäuse unserer Nachbarn und empören uns über die Vogel­fän­ger Südeu­ro­pas, die unsere Zugvö­gel in den Kochtopf wandern lassen.

Beson­ders tragisch ist das Schick­sal des Rotmi­lans. Er hat bei uns den Schwer­punkt seiner Verbrei­tung und verpflich­tet uns deshalb zu seinem beson­de­ren Schutz. Doch wir machen das Gegen­teil und das geht so:

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Von Windkraft­an­lage erschla­ge­ner Rotmi­lan. Foto: Dieter Krämer.

Der Rotmi­lan ist auch ein Aasfres­ser und daher locken ihn Windrä­der an und zwar auch von weit her, so wie das Licht die Motten. Warum? Weil er Nahrung sucht und die liefern ihm die Windrä­der. Es ist wie bei den schon erwähn­ten Turmfal­ken. Warum sollte der Rotmi­lan unter Windrä­dern suchend herum­flie­gen, wenn dort nichts zu finden wäre? Deshalb ist der Rotmi­lan ein unbestech­li­cher Bioin­di­ka­tor für das Sterben an den Windrä­dern. Er verkauft keine Windrä­der, verdient weder Geld mit Planun­gen oder Gutach­ten, auch nicht mit Kredi­ten oder Pachten. Er schielt nicht nach Posten und Pfrün­den und hat mit Politik nichts zu tun. Er ist unbestech­lich. Sein Preis aber ist hoch: Er wird selbst erschlagen.

Windener­gie­an­la­gen“ sind also Anlagen zur Ausrot­tung des Rotmilans.

Dr. Fried­rich Buer, Neustadt an der Aisch, August 2014


 Die Märki­sche Allge­meine lieferte im August 2015 traurige Evidenz aus der Prignitz:

Storch

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Im Dezem­ber 2015 widmete die Zeitschrift Natio­nal­park dem Thema einen Grundsatzartikel:

Lizenz zum Töten

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Die Zeitschrift berich­tet seit 1974 viermal jährlich über die Entwick­lung deutscher Natio­nal­parke, großer Schutz­ge­biete und aus dem Naturschutz. 

Ende Juni 2016 wurde die bislang größte und aufwän­digste Feldstu­die zu den Tötungs­ri­si­ken für Greif­vö­gel durch Windkraft­an­la­gen veröffentlicht.

Mit Förder­mit­teln des Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums hatte sich die “PROGRESS”-Studie, eine syste­ma­ti­sche Freiland­ana­lyse, über drei Jahre hinweg in mehre­ren norddeut­schen Bundes­län­dern reprä­sen­ta­tive Daten zur Kolli­si­ons­rate von Vögeln mit Windener­gie­an­la­gen an Land erhal­ten und ausge­wer­tet. Bereits im März des Jahres 2016 wurde in einer Vorab­ver­öf­fent­li­chung ersicht­lich, dass nicht nur dem Rotmi­lan, sondern auch dem Mäuse­bus­sard in Deutsch­land die Ausrot­tung droht, wenn die Windkraft-Ausbau­ziele nicht revidiert werden. Den Endbe­richt  der Studie und inklu­sive Bewer­tung finden Sie hier. Dass Windkraft­an­la­gen Greif­vö­gel auf Popula­ti­ons­ebene gefähr­den, ist spätes­tens seit dieser Studie Allgemeingut. 

Seitens der Windkraft­in­dus­trie und ihr naheste­hen­der Insti­tu­tio­nen und Perso­nen wird dies leider syste­ma­tisch verharm­lost. Ebenso abstrus wie infam ist dabei der regel­mä­ßige Hinweis, dass “im Straßen­ver­kehr”, “an Fenstern” oder “durch Katzen” viel mehr Vögel zu Tode kämen, Windkraft­an­la­gen also relativ harmlos sein. Diese schie­fen Verglei­che sind Nebel­ker­zen, die den Unter­schied zwischen Indivi­duen, Popula­tio­nen und Arten gänzlich ausblen­den. Zwar ist jeder Spatz, der an einer (Windschutz-)scheibe oder in Katzen­kral­len veren­det, bemit­lei­dens­wert bzw. sind entspre­chende Todes­fälle nach Kräften zu vermei­den. Dass aller­dings Vertre­ter gefähr­de­ter Greif­vo­gel­ar­ten durch ebendiese Ursachen zu Tode kommen, dürfte ein höchst selte­nes Phäno­men sein. 

Im Oktober 2016 beleuch­tete der WDR die Spitze des Eisbergs:

 

Im März 2017 warf der NDR ein Schlag­licht auf ein Folge­pro­blem, das bis dato kaum thema­ti­siert worden war: Da die poten­ti­ell tödli­che Wirkung von Windkraft­an­la­gen auf die Tierwelt bekannt ist, gelten für die Errich­tung dieser Anlagen artspe­zi­fi­sche Mindest­ab­stände zu den Brutplät­zen von Vögeln, wie sie beispiels­weise im Helgo­län­der Papier fachkun­dig definiert sind. Aus Sicht eines poten­ti­el­len Windkraft­pro­fi­teurs verstellt ein Horst somit die Aussicht auf eine lukra­tive Einnah­me­quelle. Die Wirkung auf das Tierwohl lässt sich an zwei Fingern abzählen:

weiter­füh­rende Literatur

 

Fakten statt Mythen

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