Im November 2014 legte Herr Patrick Graichen, Chef des einflussreichen „Think Tank AGORA“, ein bemerkenswertes Geständnis ab:
Wir haben uns geirrt bei der Energiewende. Nicht in ein paar Details, sondern in einem zentralen Punkt. Die vielen neuen Windräder und Solaranlagen, die Deutschland baut, leisten nicht, was wir uns von ihnen versprochen haben. Wir hatten gehofft, dass sie die schmutzigen Kohlekraftwerke ersetzen würden, die schlimmste Quelle von Treibhausgasen. Aber das tun sie nicht.
Diese “Einsicht” kam allerdings sehr spät. Die grundlegenden Zusammenhänge waren bereits 2009 sogar Teilen der Grünen bekannt:
Insofern ist der Irrtum, den Herr Graichen seinerzeit eingestand, als vorsätzlich einzustufen.
Man wusste es eindeutig besser, als man vorgab.
Die Generierung und Verbreitung von Wissen zählt allerdings nicht zu den Kernaufgaben der „Agora“ (wer ist das eigentlich?). Vielmehr geht es der “Denkfabrik” darum, Fürsorge für die Interessen der “Eneuerbare Energien”-Industrie zu betreiben; d.h. den forcierten Ausbau von Windenergie pseudo-wissenschaftlich zu unterfüttern, sprich die Lösbarkeitsillusion nach Kräften zu nähren.
Insofern verletzte Graichen im November 2014 seine Fürsorgepflicht. Es verwunderte nicht, dass der seinerzeitige Energiestaatssekretär und Agora-Gründer Rainer Baake postwendend ein sehr umfangreiches Dementi veröffentlichen lies. Wir haben uns damals an die Öffentlichkeit gewandt.
Seither hat es Agora erfolgreich vermieden, durch realitätsnahe oder gar objektive Veröffentlichungen die mehr oder weniger versteckte Mission(ierung) zu gefährden. Wir haben uns mehrfach bemüht, Publikationen der Denkfabrik kritisch aufzuarbeiten – so beispielsweise hier, hier, hier oder hier.
Am 11. Juni 2019, viereinhalb Jahre nach dem „Irrtum“ und eineinhalb Jahre nach einer Gesangseinlage meldet sich Herr Graichen erneut zu Wort.
Im Deutschlandfunk fordert er mindestens 1.300 neue Windkraftanlagen pro Jahr. Von diesen hinge der Erfolg der „Energiewende“ ab.
In bester Fürsorge der Klientel erklärt er, dass sich “eine Katastrophe” anbahne, wenn die Ausbauziele vernachlässigt würden.
Erneut ist bei Herrn Graichen von vorsätzlichem Irrtum auszugehen. Ein Blick in sein eigenes Daten- und Zahlenwerk – trotz dessen mitunter manipulativ-suggestiver Aufbereitung – muss ihm zeigen, dass jede weitere Windkraftanlage alle Probleme der „Energiewende“ verschärft, aber kein einziges löst:
Bereits jetzt haben wir Windkraftstrom im Überfluss, wenn der Wind mal weht. Wir müssen diesen dann – häufig zu „Negativpreisen“! – ins Ausland verbringen. Das Energiemüll-Entsorgungsproblem ist Herrn Graichen seit Jahr und Tag bekannt. In der ZEIT wurde er in 2014 wie folgt zitiert:
In der ersten Jahreshälfte 2014 gab es 71 Stunden mit negativen Strompreisen. Aber schon in wenigen Jahren könnten es nach einer Berechnung des Thinktanks Energy Brainpool tausend Stunden im Jahr werden. Ein Viertel der gesamten Ökostromproduktion wäre dann Energiemüll.
Diese damals von Herrn Dr. Graichen korrekt beschriebene Situation hat sich offensichtlich weiter drastisch verschärft:
Im ersten Halbjahr 2019 wurde schon sechs Tage lang Energiemüll produziert!
Wie ein Volkswirt angesichts dieses Desasters einer Erweiterung der Produktionskapazitäten zur Erhöhung des Strommüllbergs das Wort reden kann, erschließt sich uns nicht.
Wenn der Wind indes nicht weht, dann liefern auch beliebig viele jährlich neu hinzugebaute Anlagen exakt: nichts. Die Versorgungssicherheit wird durch sie nicht erhöht. Im Gegenteil, deren Gewährleistung wird immer schwieriger und teurer. Entgegen der – maßgeblich von Agora verbreiteten „Glättungsthese“ (mehr dazu hier) – würde der geforderte Zubau die Ausschläge nicht etwa glätten, sondern erhöhen. Die Netzbetreiber müssten noch häufiger in den Kraftwerkspark eingreifen. Die sogenannten „Redispatchkosten“ würden steigen (mehr dazu hier).
Über verschiedene Kanäle
– die EEG-Umlage, die genannten Redispatchkosten, die Kosten des Einspeisemangagements nach §15 EEG (“Härtefallregelung”) sowie den notwendigen Ausbau/die Ertüchtigung von Verteil- und Übertragungsnetzen -
würden die jährlich 1.300 neuen Anlagen die Strompreise unweigerlich weiter steigen lassen.
Am Schlimmsten aber wäre die von Graichen herbeigeforderte Problemverschärfung im Bereich des Natur‑, Arten- und Landschaftsschutzes.
Der Flächenverbrauch der Windenergie ist, wenn man die „Energiewende“-Ziele halbwegs ernstnimmt, gigantisch.
Wenn man den Weg einer Dekarbonisierung um 90 Prozent bis 2050 gehen will, dann würde mit rund 2000 Terawattstunden mehr als dreimal so viel Strom benötigt wie heute, weil Verkehr und Wärme elektrifiziert werden müssten. Insbesondere sind riesige Überkapazitäten zur Deckung der gigantischen Speicherverluste nötig.
Wir haben heute in Deutschland rund 28 000 Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 57 000 Megawatt (MW), bei der Fotovoltaik sind es 46 000 MW. Diese Anlagen haben in 2018 über 150 Terawattstunden Strom geliefert. Für eine Dekarbonisierung müssten die Kapazitäten gegenüber heute weit mehr als verzehnfacht werden. Unter halbwegs realistischen Annahmen sind dafür 3000 Quadratkilometer Rotorfläche (das entspricht 160.000 Windkraftanlagen neuester Bauart) und 4000 Quadratkilometer Solarfläche erforderlich.
Der in dieser Sache sicher gänzlich unverdächtige Professor Harald Lesch sagt (hier ab Min. 3:10) dazu:
Darüber will man gar nicht reden, da bleibt einem das Wort im Munde stecken […] Dann haben wir Energie, aber was ist das für ein Land dann?
Genau diese Frage stellen wir!
Vor ihrem Hintergrund ist die Aussage Graichens,
was wir brauchen ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Naturschutz und Klimaschutz (…) Diese Abwägung, die haben wir bisher nicht so richtig im Gesetz.
in dieser verkürzten Darstellung weitgehend zutreffend. Im Original ist sie blanker Unsinn.
In der Tat braucht es dringend eine Abwägung, ein rationales Vorgehen.
In der Tat wird dem bestehenden Gesetz, nämlich dem Grundgesetz, dessen Art 20a genau das fordert, nicht zur Genüge entsprochen (mehr dazu hier und hier).
Vor einer nüchternen Abwägung hätte keine einzige neue Windkraftanlage bestand. Schließlich ist deren Klimaschutzwirkung nicht existent, die Naturzerstörung hingegen höchst real. Insbesondere wenn man das, was die Denkfabrik postuliert, zu Ende denkt.
Dem Deutschlandfunk und anderen Medien ist dringend zu wünschen, dass die dort Verantwortlichen sich des eigenen kritischen Verstandes bedienen und das Denken nicht fantasierenden Fabrikanten überlassen: Sprich, dass nach Agora bald kein Hahn mehr kräht.